Zur Geschichte und zur Philosophie unseres
Internationalen Verteidigungsschießens
Bereits in den Anfangsjahren der Interessengemeinschaft Schießkeller Kennelbach der Exekutivbeamten (IGSK) ab 1976 war uns klar, dass die Ausbildung der dienstlichen Waffenträger nach wirklichkeitsnahen Kriterien durchzuführen ist. (Siehe auch Geschichte der Interessengemeinschaft).
Eine große Hilfe in diese Richtung waren zu dieser Zeit und in den folgenden Jahren die deutschen Experten Siegfried F. HÜBNER und H.J. STAMMEL, welche fundierte Publikationen veröffentlichten und zu Recht als Initiatoren für diese neue Art der Schießausbildung im deutschen Sprachraum galten. Wir haben uns mit deren Theorien und Praktiken sogleich identifiziert und sie natürlich auch genauestens unter die Lupe genommen. Wir nehmen daher für uns in Anspruch, die Ersten in Österreich gewesen zu sein, die diese Art des Schießens und die entsprechende Ausbildung, wenn auch auf privater Basis, eingeführt haben.
Sicher auch inspiriert durch die Thesen der beiden haben Kollegen der Polizei in Lüttich/Belgien, federführend dabei Francis DORAO, eine Anzahl von farbigen, lebensecht gestalteten Feind/Freund Scheiben gestaltet, die sie auch Kollegen anboten. Selbstredend haben wir da sofort zugegriffen und diese universellen Scheiben in unsere Ausbildung aufgenommen. Die belgischen Kollegen waren es auch, die unserem Wissenstand nach bereits Anfang der 80er Jahre in einem Industrieareal in Lüttich Schießbewerbe in realem Umfeld in internationalem Rahmen für Polizei und Gendarmerie anboten.
Leider sind die Verdienste von HÜBNER und STAMMEL heutzutage gewissermaßen in den Hintergrund getreten und eine Vielzahl heutiger, selbsternannter „Verteidigungs-Guru´s“ versucht sich daran, das Rad neu zu erfinden. Es stellt sich aber immer wieder heraus, dass ein Großteil dieser propagierten Praktiken zwar spektakulär aussieht, aber bei genauerer Überprüfung nicht hält, was sie zu versprechen scheinen. Es heißt also: „Back to the roots“. Einfache, simple Praktiken, die in Stresssituationen beherrschbar sind, sind wieder gefragt.
Diese damals von vielen verächtlich „Cowboyschießen“ genannte, und daher mit einem gewissen negativen Ruf behaftete Art des Schießens wurde vor allem aus den etablierten Sportschützenkreisen heraus, teils vehement, angegriffen, Dies störte uns als behördliche Waffenträger keinesfalls und auch von Seiten unserer Vorgesetzten wurden uns keine Hindernisse in den Weg gelegt. Wir konnten unseren begonnenen Weg also zielstrebig fortsetzen.
Natürlich machte diese Art des Schießens auch nicht vor den Reihen der privaten Schützen halt und es entstanden die ersten „Combatschießklubs“ in Österreich, wobei in Vorarlberg der „1. Vorarlberger Combat-Club (1. VCC, offiziell gegründet 1982) als erster aufschien. Viele dieser Vereine sind dann im Laufe der Zeit in das „IPSC“-Lager (=International Practical Shooting Confederation) gewechselt, bei dem das dynamische Schießen nach einheitlichen Regeln und Scheibenmaterial erfolgt und eine „entschärfte“ Form des ursprünglichen Combatschießens darstellt. IPSC hat also heute nichts mehr mit Combat- oder gar Verteidigungsschießen zu tun.
Aufgrund persönlicher Kontakte kam es von Anfang an zu einer regen Zusammenarbeit mit dem 1. VCC und es überraschte daher nicht, dass deren rührige Mitglieder die Idee hatten, auch einmal einen Schießwettkampf auf realer Basis nach belgischem Vorbild für Vorarlberger Exekutivangehörige zu veranstalten. Dieser Wettkampf fand daher am 7. Juli 1984 unter der Federführung des 1. VCC im Schießkeller in Kennelbach statt. Keiner ahnte damals, was einmal daraus werden sollte.
Aufgrund der lebhaften Zustimmung von allen Seiten wurde bereits im Folgejahr, Juli 1985, der 2. „Combatschießwettkampf auf realer Basis“, diesmal als Gemeinschaftsprojekt des 1. VCC und der IG, ausgerichtet. Und schon im darauffolgenden Jahr, Juni 1986, fand der nächste Wettkampf, mit einer steigenden Zahl Teilnehmer aus Kreisen der Exekutive, auch aus dem Ausland, statt. Es war daher nur natürlich, dass ab diesem Zeitpunkt der Bewerb unter dem Namen „Internationales Verteidigungsschießen“ firmierte. (Chronologie des „IVS“ unter „Geschichte der IG“).
Das waren die Anfänge
In der Folge war das Bestreben, die Situationen, die immer im scharfen Schuss mit der eigenen (Dienst-)Waffe bewältigt werden müssen, immer realer zu gestalten. Das bedingte immer aufwändigere Vorarbeiten, sodass bald auf einen 2-jährigen Rhythmus umgestellt wurde. Ab dem 7. Internationalen Verteidigungsschießen im Juni 1994 wurde aus dem selben Grund sogar auf ein 3-jähriges Intervall umgestellt. Inzwischen dauern die Vorarbeiten für eine Veranstaltung schon bis weit über ein Jahr.
Im Gegensatz zu anderen Veranstaltern bemühen wir uns, die Situationen („Stage`s“ auf neudeutsch) äußerst wirklichkeitsnah mit dazu passenden Zieldarstellern, sowohl als Papierscheiben als auch dreidimensional, zu gestalten. Inzwischen sind schon bei mehreren Bewerben auch Situationen interaktiv zu lösen, d.h. mittels ungefährlichen Markierungswaffen und lebenden Darstellern, in einem realen Umfeld, was natürlich einen erheblichen Sicherheitsaufwand vonnöten macht.
Den Teilnehmern sind die Situationen nicht bekannt, sie erhalten zu Beginn nur grundsätzliche Informationen. Wie im Ernstfall wissen sie nicht, was auf sie zukommt. Sie müssen augenblicklich selbst entscheiden, ob sie schießen oder nicht. Daher werden auch Situationen eingebaut, bei denen nicht geschossen werden darf. Bei richtiger Reaktion gibt es auch dafür Punkte. Die Zieldarstellungsscheiben gliedern sich in Fallscheiben, die nur bei einem Treffer in der Wirkungszone fallen, Dreh- und Klappscheiben, die nur eine bestimmte Zeit sichtbar werden und, wie erwähnt, dreidimensionale Zieldarsteller.
Situation mit dreidimensionalen Darstellern beim IVS 91
Auch die Bewertung wird nach unterschiedlichen Kriterien durchgeführt. Es gibt Situationen, bei denen die Zeit gemessen wird, bis die Situation gelöst ist, dabei kommen natürlich Fallscheiben zum Einsatz, bei anderen ist die Zeit durch das Auftauchen und Verschwinden von Scheiben vorgegeben. Bei anderen Situationen wird wiederum die Zeit vorgegeben, in der die Situation zu lösen ist.
Im Ernstfall spielt der Stressfaktor eine gewichtige Rolle. Die Teilnehmer werden daher vor dem Bewerb informiert, dass sie während der Bewältigung des Bewerbes durch unsere Bewerter durch zur Eile antreiben, Anschreien und sogar durch gemäßigtes Stoßen in einen solchen Zustand versetzt werden. In der Regel verlassen die Teilnehmer den sonst eher kühlen Schießkeller schweißnass.
Aus Gründen der Fairness beteiligen sich die Mitglieder der IG und des 1.VCC nicht am Bewerb. Wir gehen sogar so weit, dass wir den Schießkeller für die Dauer der Aufbauarbeiten, welche bis zu 4 Wochen dauern können, mittels unseres elektronischen Zutritts-System sperren und nur den Gestaltern der Situationen Zutritt gewähren.
Um auf die Situationen zurück zu kommen: Wegen der relativen Beengtheit im Schießkeller können wir dort keine Partneraktivitäten anbieten. Ein Mannschaftsbewerb, bei dem die Ergebnisse bestimmter Teilnehmer zusammengezählt werden, kommt für uns nicht in Betracht. Zu groß wäre eine Beeinträchtigung der persönlichen Leistung der Teilnehmer, wenn sie durch die Mannschaftskameraden zwischenzeitlich informiert werden würden.
Unser Bestreben ist es, in unserem - so weit uns bekannt ist - im deutschsprachigem Raum einzigen derartigem Bewerb dem Teilnehmer einen Überblick über seine Leistungsfähigkeit im Schusswaffengebrauch unter wirklichkeitsnahen und auch stressbedingten Situationen zu geben.
Daher sind auch unsere Situationen so gestaltet, wie sie eben jedem beruflichen Waffenträger passieren können. Ein, zwei oder höchstens 3 Gegner, oder auch gar keiner, wie erwähnt, pro Situation, mehr nicht. Also keine „Ballereien“ mit dutzenden Gegnern wie in anderen derartigen Bewerben in Westeuropa. Daher kommt der Teilnehmer bei uns in der Regel mit max. 50 Patronen aus. Neben der sicheren Schussabgabe, wenn erforderlich, soll vor allem auch die jeweilige Situation richtig beurteilt und der stressbedingte „Tunnelblick“ eliminiert werden können.
Seit einigen Jahren verzichten wir auch auf direkte Geiselnehmersituationen. Die gesetzliche Lage in den Staaten ist zu unterschiedlich, um einheitlich interpretiert werden zu können. Die Bewertung in einem Bewerb soll für alle Teilnehmer einheitlich sein. Aus den selben Gründen stellen wir auch keine Situationen dar, in denen Messer oder sonstige – im Ernstfall lebensgefährliche – Werkzeuge vorkommen. Eine klare Linie bei uns: Zu bekämpfen sind diejenigen, die Schusswaffen haben, egal, in welche Richtung die Waffe zeigt. Die einzige Ausnahme: Siehe nächster Absatz. Trotzdem gilt es jederzeit, das Gesamtgeschehen im Auge zu behalten und auf eventuelle Bedrohungen entsprechend zu reagieren.
Was haben scharfe und schärfste Gewürze mit unserem Verteidigungsschießen zu tun?
Seit je her haben wir in den Situationen einen „Kollegen“ eingebaut, der mit der Waffe in der Hand, meistens in im ungeeignetsten Moment, auftaucht. Dieser „Kollege“ wird dem Teilnehmer vor Beginn optisch gezeigt, er muss sich diesen einprägen und dann im Stress des Bewerbes darauf achten, ihn nicht zu beschießen, was doch einem nicht unerheblichen Prozentsatz leider nicht gelingt. Beim ersten Mal wurde dafür eine Scheibe gewählt, die einem (echten) Kollegen verblüffend ähnlich sah. „Der sieht aus wie der Salzinger“. Nach dem großen Erfolg mit dieser „Freundscheibe“, war klar, dass beim nächsten Mal wieder ein Gewürzname fällig war: „Major Alfons Pfeffinger“. So ging es fort mit Jose Ketschinger, Miss Janet Chili, Raoul Tabasco, Carlos Jalapeno und 2015 wird Marco Habanero voraussichtlich wieder viele Tode im „friendly Fire“ sterben.
Grundsätzlich ist unser Verteidigungsschießen für die Teilnahme von Exekutiv- und Heeresangehörigen aus dem In- und Ausland vorgesehen. Wir hatten neben den zahlreichen Teilnehmern aus Deutschland und der Schweiz solche aus Tschechien, Ungarn, Italien, Frankreich, Belgien, Luxembourg und den USA. Wir behalten uns aber vor, auch andere, jedoch uns bekannte dienstliche Waffenträger von Wachdiensten und Detekteien, sowie eine streng beschränkte Anzahl Mitglieder von befreundeten Schießvereinen einzuladen.
Abschließend möchten wir mit allem Nachdruck festhalten, dass uns absolut bewusst ist, hier eine bitterernste Sache, die nun mal einen Schusswaffeneinsatz gegen Menschen ist, mit einem Wettbewerb zu verbinden. Mancher Zeitgenosse wird da seine Probleme haben. Aber wir bieten dem behördlichen Waffenträger einen Anreiz, seine Fähigkeiten in einer möglichst realen Art auszutesten, was in der dienstlichen Ausbildung aufwandsmäßig wohl nicht zu schaffen ist. Vor allem soll im Rahmen der dreitägigen Veranstaltung der Kontakt der in- und ausländischen Kollegen untereinander und dem unweigerlich folgenden Erfahrungsaustausch ein wesentlicher Nebeneffekt sein.
Wir hoffen, dass unser Aufwand durch eine möglichst hohe Zahl von Teilnehmern belohnt wird, damit das Internationale Verteidigungsschießen auch noch 2018 auf dem Terminkalender steht.
Bregenz, im Juli 2014
Karl-Heinz Rösler
Situationen des IVS 12