Seit dem Aufkommen der Feuerwaffen ist die kreisförmige Ringscheibe für viele Jahrhunderte das Maß, das alle Schützen vereinte. Möglichst nahe ins Zentrum zu treffen, war gefordert. Nach diesem Kriterium schossen alle, auch alle Schusswaffenträger aus dem militärischen Bereich, nicht nur die Sportschützen. Die kaiserlichen Standschützen, die als Sportschützen vor gut 100 Jahren zur Verteidigung der Heimat ausrückten, galten dafür mit ihrer Fähigkeit, präzise ins Zentrum zu treffen, als prädestiniert.
Das System der Ringscheibe gilt bis heute in allen Bereichen als das Beste, um die Fähigkeit des Schützen einheitlich festzustellen, möglichst präzise einen bestimmten Punkt zu treffen. Dies gilt vor allem im Schießsport, um die Auswertung fair und unproblematisch zu gestalten. Die nachfolgenden Überlegungen stellen die Bedeutung der Kreisringscheibe im schießsportlichen Bereich nicht in Frage.
Aber durch die jahrhundertelange generelle Verwendung der Kreisringscheibe, welche auch ungefragt noch Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg in die militärische und polizeiliche Schießausbildung übernommen wurde, ergaben sich vor allem aufgrund der zunehmend schwieriger werdenden Verhältnisse in der dazu erforderlichen praxisbezogenen Schießausbildung Defizite.
Der grundausgebildete behördliche Waffenträger muss in der Lage sein, beim Schusswaffengebrauch unter den verschiedenartigsten Bedingungen, die da vor allem auch die Lichtverhältnisse betreffen, eine rasche und sichere Schussabgabe in die Wege zu leiten. Eine Konfrontation mit einem oder mehreren Gegnern in einer hellen, schattenlosen Umgebung wie auf einem herkömmlichen Schießstand wird es so gut wie nie geben. Ebenso wenig ein Kontrahent in einem hellen, glänzenden Umhang, auf dem sich die Visiereinrichtung der eigenen Waffe gut „parken“ lässt.
Daraus ersehen wir, dass die Fähigkeit gefordert werden muss, die Visiereinrichtung , sofern diese überhaupt ins Spiel gebracht werden kann, damit generell die gesamte Waffe, auf dunklen Zielen schnell und sicher einrichten zu können. Dass sich das Ziel in der Regel bewegt und der eigene Stresslevel in so einer Situation erschwerend hinzu kommt, erleichtert die Sache ganz sicher nicht.
Es muss daher dringend gefordert werden, dass die die Schulung der Waffenträger nach der Grundausbildung ausschließlich mit dunklen Zielmedien zu erfolgen hat! Da das dazu ideale Scheibenmaterial in Form der farbigen, lebensechten Figurenscheiben aus Kosten- und Behandlungsgründen nicht unbeschränkt eingesetzt werden kann, bieten sich hierzu vor allem die schwarzen Sasia-Figurenscheiben an, die außerdem noch 2 schwarze Punkte für einen Präzisionsschuss aufweisen.
Aus diesen Gründen gehe ich daher mit der hierzulande betriebenen Fortgeschrittenen-Schießausbildung unter nahezu ausschließlicher Verwendung der weißen DIN A4 Blätter hart ins Gericht. Diese Zieldarstellung hat durchaus ihre Berechtigung in der Grundausbildung, um dem Anfänger die Lage seiner Treffer sogleich anzuzeigen, hat dann aber nichts mehr in der weiteren Ausbildung verloren! Aber es ist halt verdammt einfach für die Ausbilder, nur neue weiße Blätter aufzutacken und billiger ist es alle Male.
Kein Verständnis habe ich auch für die Tatsache, dass die diversen bundeseinheitlich ausgeschriebenen Schieß-Testprogramme, sei es für EKO-Aufnahmetests, Wiederholungs-tests, etc. die hellen wirklichkeitsfremden IPSC-Scheiben verwendet werden. Mit den dafür Verantwortlichen möchte ich mich gerne mal unterhalten.
Ebenso verschließt sich mir der Sinn der noch all zu oft verwendeten Symbolscheiben, natürlich alle auf weißem Papier. Die sinnigen Namen, wie Dot-Torture, zeigen vom Ideenreichtum der Gestalter, aber nicht von deren Fachkenntnis. Was geometrische Figuren, unterschiedliche Linien, in die Länge gezogene Ringscheiben oder zusammengewürfelte Quadrate mit Zielaufnahme zu tun haben, verschließt sich mir. Sie taugen allenfalls für ein Jux-Schießen. Die dazu öfters geäußerte Meinung, dass damit die Zielkonzentration gefördert würde, ist unsinnig. Im Gegenteil, der unter allen Umständen zu vermeidende „Tunnelblick“ wird dadurch antrainiert.
Die in unserem Schießkeller bereitgehaltenen Scheiben decken alle Möglichkeiten für ein praxisbezogenes Schießtraining ab. Neben den jederzeit verwendbaren lebensecht gestalteten belgischen Figurenscheiben sind vor allem unsere schwarzen Figurenscheiben mit Zoneneinteilung des ehemaligen französischen Schießausbilders Raymond SASIA hervorragend für ein praxisbezogenes Schießtraining geeignet. Für sportliches Schießen stehen nach wie vor die Kreisring-Pistolenscheiben zur Verfügung.
Diese von mir hier geäußerte Meinung beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung im praxisbezogenen Schießen mit Faustfeuerwaffen. Bereits vor rund 50 Jahren, Anfangs der Siebziger, habe ich mich zusammen mit einigen Mitkämpfern, vermutlich als die ziemlich Ersten in Österreich, mit dem damals hierzulande noch unbekannten „Combat-Schießen“, welches uns aus den USA erreichte, befasst. Nach meinem Eintritt in die Bundesgendarmerie gründeten wir 1976 unseren auf privater Basis betriebenen Schießkeller in Kennelbach, um Abhilfe zu der damals absolut unzureichenden behördlichen Schießausbildung zu schaffen. Als jahrzehntelanger Schießausbilder bei Gendarmerie und Polizei und als zertifizierter Gendarmerie-Schießtrainer konnte ich mir in der Vergangenheit die entsprechende Erfahrung, nicht ohne Erkennen der eigenen Irrwege, aneignen. Um so leichter fällt es mir heute, diese Irrwege, welche heutzutage wieder vermehrt von jungen, nachstrebenden „Experten“ verbreitet werden, zu erkennen.
Ich hoffe, mit meiner Ansicht einen Denkanstoß in Richtung überlegterer Verwendung von Zielmedien in der behördlichen Ausbildung und auch im eigenen Bereich geben zu können.
Karl-Heinz Rösler
Mai 2022