Praxisbezogene Schießausbildung
versus Schießstandverhalten.
Oder etwa umgekehrt?


Dokumentationen in diversen Fernsehsendern boomen. Berichte über Einsatzorganisationen wie Polizei, Zoll, Feuerwehr, das Rettungswesen oder das Heer bringen dem Bürger viele Informationen und das ist wichtig und richtig so. Natürlich kommen dabei auch Informationen über die Schießausbildung der waffentragenden Kräfte nicht zu kurz.


Der Insider sieht dabei aber meistens das altbekannte Schema: Mehrere Auszubildende stehen nebeneinander auf den breitflächigen behördlichen Schießständen und geben die angeordneten Schüsse unter Anleitung der Ausbilder auf die verschiedenartigsten Zielmedien ab. (Siehe dazu auch „Zielmedien“ auf unserer Homepage). So weit so gut.


Seit einiger Zeit kann dabei aber oft ein seltsames Phänomen beobachtet werden. Unmittelbar nach Abgabe des Schusses (der Schüsse) wird die Waffe ruckartig mit angewinkelten Armen gegen die Brust gezogen und der Kopf mit bösem Blick ebenfalls ruckartig nach links und rechts gerissen. Das Ganze mit unveränderter, nach vorne gerichteter Körperhaltung.

Seit dem Aufkommen der Feuerwaffen ist die kreisförmige Ringscheibe für viele Jahrhunderte das Maß, das alle Schützen vereinte. Möglichst nahe ins Zentrum zu treffen, war gefordert. Nach diesem Kriterium schossen alle, auch alle Schusswaffenträger aus dem militärischen Bereich, nicht nur die Sportschützen. Die kaiserlichen Standschützen, die als Sportschützen vor gut 100 Jahren zur Verteidigung der Heimat ausrückten, galten dafür mit ihrer Fähigkeit, präzise ins Zentrum zu treffen, als prädestiniert.

Das System der Ringscheibe gilt bis heute in allen Bereichen als das Beste, um die Fähigkeit des Schützen  einheitlich festzustellen, möglichst präzise einen bestimmten Punkt zu treffen. Dies gilt vor allem im Schießsport, um die Auswertung fair und unproblematisch zu gestalten. Die nachfolgenden Überlegungen stellen die Bedeutung der Kreisringscheibe im schießsportlichen Bereich nicht in Frage. 

Aber durch die jahrhundertelange generelle Verwendung der Kreisringscheibe, welche auch ungefragt noch Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg  in die militärische und polizeiliche Schießausbildung übernommen wurde, ergaben sich vor allem aufgrund der zunehmend schwieriger werdenden Verhältnisse in der dazu erforderlichen praxisbezogenen Schießausbildung Defizite.

Der grundausgebildete behördliche Waffenträger muss in der Lage sein, beim Schusswaffengebrauch unter den verschiedenartigsten Bedingungen, die da vor allem auch die Lichtverhältnisse betreffen, eine rasche und sichere Schussabgabe in die Wege zu leiten. Eine Konfrontation mit einem oder mehreren Gegnern in einer hellen, schattenlosen Umgebung wie auf einem herkömmlichen Schießstand wird es so gut wie nie geben. Ebenso wenig ein Kontrahent in einem hellen, glänzenden Umhang, auf dem sich die Visiereinrichtung  der eigenen Waffe gut „parken“ lässt.

Daraus ersehen wir, dass die Fähigkeit gefordert werden muss, die Visiereinrichtung , sofern diese überhaupt ins Spiel gebracht werden kann, damit generell die gesamte Waffe, auf dunklen Zielen schnell und sicher einrichten zu können. Dass sich das Ziel in der Regel bewegt und der eigene Stresslevel in so einer Situation  erschwerend hinzu kommt, erleichtert die Sache ganz sicher nicht.

Es muss daher dringend gefordert werden, dass die die Schulung der Waffenträger nach der Grundausbildung ausschließlich mit dunklen Zielmedien zu erfolgen hat! Da das dazu ideale Scheibenmaterial in Form der farbigen, lebensechten Figurenscheiben aus Kosten- und Behandlungsgründen nicht unbeschränkt eingesetzt werden kann, bieten sich hierzu vor allem die schwarzen Sasia-Figurenscheiben an, die außerdem noch 2 schwarze Punkte für einen Präzisionsschuss aufweisen.

Aus diesen Gründen gehe ich daher mit der hierzulande betriebenen Fortgeschrittenen-Schießausbildung unter nahezu ausschließlicher Verwendung der weißen DIN A4 Blätter hart ins Gericht. Diese Zieldarstellung hat durchaus ihre Berechtigung in der Grundausbildung, um dem Anfänger die Lage seiner Treffer sogleich anzuzeigen, hat dann aber nichts mehr in der weiteren Ausbildung verloren! Aber es ist halt verdammt einfach für die Ausbilder, nur neue weiße Blätter aufzutacken und billiger ist es alle Male.

Kein Verständnis habe ich auch für die Tatsache, dass die diversen bundeseinheitlich ausgeschriebenen Schieß-Testprogramme, sei es für EKO-Aufnahmetests, Wiederholungs-tests, etc. die hellen wirklichkeitsfremden IPSC-Scheiben verwendet werden. Mit den dafür Verantwortlichen möchte ich mich gerne mal unterhalten.

Ebenso verschließt sich mir der Sinn der noch all zu oft verwendeten Symbolscheiben, natürlich alle auf weißem Papier. Die sinnigen Namen, wie Dot-Torture, zeigen vom Ideenreichtum der Gestalter, aber nicht von deren Fachkenntnis. Was geometrische Figuren, unterschiedliche Linien, in die Länge gezogene Ringscheiben oder zusammengewürfelte Quadrate mit Zielaufnahme zu tun haben, verschließt sich mir. Sie taugen allenfalls für ein Jux-Schießen. Die dazu öfters geäußerte Meinung, dass damit die Zielkonzentration gefördert würde, ist unsinnig. Im Gegenteil, der unter allen Umständen zu vermeidende „Tunnelblick“ wird dadurch antrainiert.

Die in unserem Schießkeller bereitgehaltenen Scheiben decken alle Möglichkeiten für ein praxisbezogenes Schießtraining ab. Neben den jederzeit verwendbaren lebensecht gestalteten belgischen Figurenscheiben sind vor allem unsere schwarzen Figurenscheiben mit Zoneneinteilung des ehemaligen französischen Schießausbilders Raymond SASIA hervorragend für ein praxisbezogenes Schießtraining geeignet. Für sportliches Schießen stehen nach wie vor die Kreisring-Pistolenscheiben zur Verfügung.

Diese von mir hier geäußerte Meinung beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung im praxisbezogenen Schießen mit Faustfeuerwaffen. Bereits vor rund 50 Jahren, Anfangs der Siebziger, habe ich mich zusammen mit einigen Mitkämpfern, vermutlich als die ziemlich Ersten in Österreich, mit dem damals hierzulande noch unbekannten „Combat-Schießen“, welches uns aus den USA erreichte, befasst. Nach meinem Eintritt in die Bundesgendarmerie gründeten wir 1976 unseren auf privater Basis betriebenen Schießkeller in Kennelbach, um Abhilfe zu der damals absolut unzureichenden behördlichen Schießausbildung zu schaffen. Als jahrzehntelanger Schießausbilder bei Gendarmerie und Polizei und als zertifizierter Gendarmerie-Schießtrainer konnte ich mir in der Vergangenheit die entsprechende Erfahrung, nicht ohne Erkennen der eigenen Irrwege, aneignen. Um so leichter fällt es mir heute, diese Irrwege, welche heutzutage wieder vermehrt von jungen, nachstrebenden „Experten“ verbreitet werden, zu erkennen.

Ich hoffe, mit meiner Ansicht einen Denkanstoß in Richtung überlegterer Verwendung von Zielmedien in der behördlichen Ausbildung und auch im eigenen Bereich geben zu können.

Karl-Heinz Rösler

Mai 2022

Schießausbildung – eine Betrachtung

Bis Mitte der Siebziger-Jahre lief die Schießausbildung der behördlichen Waffenträger – nicht nur in Österreich – nach Kriterien des sportlichen Schießens ab.

Vornehmlich einhändiges Schießen, meistens auf Kreisringscheiben und eine verbogene und instabile Körperhaltung, den Verfassern ist noch die damals propagierte „Fechterstellung“ in Erinnerung, auf hellerleuchteten Sportschieß-ständen, waren das „Nonplusultra“. Wenn sich dann einer von 10 Schüssen im Zentrum befand, war das schon ausreichend. Schlechte Lichtverhältnisse beim Waffengebrauch, Deckungsverhalten, richtiges Erkennen des Zieles, etc. waren kein Thema.

Nachdem dann zu dieser Zeit aus den USA kommend, das „Combatschiessen“ in Europa bekannt wurde, kam es zuerst zögernd, dann aber immer schneller, auch hierzulande, durch engagierte Beamte auf privater Basis zu Versuchen der Abhilfe. Nachdem in Vorarlberg die Interessengemeinschaft Schießkeller Kennelbach seit 1976 in ihrem Schießkeller das praxisbezogene Schießen in den Vordergrund stellte und auch in anderen Bundesländern diese Schießpraxis Fuß fasste, konnten sich die betroffenen Vorgesetzten diesem Thema nicht länger entziehen. Seit Beginn der Achtziger-Jahre wurde auch die behördliche Schießausbildung in kleinen Schritten in die richtige Richtung gebracht. Der Umbau des damals noch recht neuen, aber nach sportlichen Kriterien errichteten Exekutivschießstandes in Koblach/Vorarlberg zeugt davon.

Nach der Schießgrundausbildung des Waffenträgers sollte er vorrangig zur sicheren und präzisen Abgabe des Schusses befähigt sein. Richtige Körperhaltung, entsprechendes Abzugsverhalten in Verbindung mit dem richtigen Ergreifen der Waffe, auch beim Ziehen aus dem Holster, in beidhändigem Anschlag ohne Vernachlässigung des einhändigen Schießens mit der starken und der schwachen Hand, sind die Voraussetzung zur Überleitung in die weitere, praxisbezogene Schießausbildung.

Mehrere Punkte müssen dabei in Betracht gezogen werden:

1.   Entsprechendes Scheibenmaterial. Das Nonplusultra wäre die Verwendung der farbigen realitätsnah gestalteten Figurenscheiben. Die hohen Kosten rechtfertigen aber nicht deren laufende Verwendung. Sie sind aber für die taktische, situationsbezogene Schießausbildung unabdinglich. Bei der Verwendung anderer Zielscheiben, egal, ob vereinfachte Figurenscheiben oder verschiedene Formen der Geometrie, ist aber darauf zu achten, dass die Zielfläche dunkel ist. Weiße DIN A4 Blätter, auf die Scheibenunterlage geklammert, sind ja einfach und preiswert und mögen in der Grundausbildung hilfreich zum Erkennen der Trefferlage sein, sind aber für die praxisbezogene Ausbildung nicht geeignet. In der Realität ist die Zielfläche fast immer im dunkleren Bereich angesiedelt, auch in den wenigen Fällen, in denen strahlendes Sonnenlicht oder die Bestrahlung durch Scheinwerfer erfolgt, zumal bei uns Täter in einem weißen Nachthemd oder mit landestypischer Bekleidung bei morgenländischer Herkunft doch eher selten sind.

2. Schießausbildung bei schlechten Lichtverhältnissen bis hin zur völliger Dunkelheit unter Verwendung einer Lichtquelle. Auch das ist die Realität bei einem allfälligen Schusswaffeneinsatz. Hier haben auch ansonsten gut ausgebildete Waffenträger, die nur unter den normalen Lichtverhältnissen eines Schießstandes trainiert wurden, erhebliche Probleme.

3. Das Schießen mit beiden geöffneten Augen ist zu trainieren. Es ermöglicht dem Waffenträger in Konfrontationen durch eine 180 Grad Sehwinkel einen weit größeren Überblick über das Szenario. Seitliche Beeinflussungen oder gar Bedrohungen können schneller wahrgenommen und eingeordnet werden.

4. Die Ausbildung zum richtigen Einnehmen von Deckungen ist ebenfalls intensiv durchzuführen. Geschützt durch eine Deckung in einer Konfrontation mit einem Schusswaffengegner ist lebenserhaltend. Nur, nicht jede Deckung bietet auch Schutz. Das Niederwerfen hinter einem Sofa oder einem Möbelstück sieht im Film ja ganz gut aus, aber bietet gegen großkalibrige Faustfeuerwaffenmunition keinen Schutz, eben so wenig wie das Blech und die Verglasung eines Kraftfahrzeuges. Wegen der Übersicht sind Deckungen, in denen tief geduckt werden muss, nach Möglichkeit zu meiden. Eine Ausnahme bildet hier nur die Motorhaube eines Pkw, hinter der man durch den Motor in einem gewissen Maß geschützt sein wird. Es ist zu beachten, dass bei einer Änderung der Situation eine augenblickliche Standortveränderung unter Beibehaltung der Kampffähigkeit erforderlich sein kann. Auch die Sicht in Richtung Gegner darf niemals aufgegeben werden. Innerhalb von Sekunden kann dieser Maßnahmen setzen, die ihm die Überlegenheit sichern. In tiefer Hocke oder gar liegend und blind in Richtung Konfrontation kann der Gegner schneller „über“ einem sein, als einem lieb ist.

Vorliegende Kurzbetrachtung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, aber die angeführten Punkte

Zielmedium, Lichtverhältnisse, Sichtwinkel, Deckungsverhalten

sind bei einer zielführenden Schießausbildung elementar. Diese Erkenntnisse haben die Unterzeichneten, in bis zu fast 40 Jahren als Gendarmerie- und Polizeibeamte im Außendienst, in weit über 20-jähriger Tätigkeit als Schieß-, bzw. Einsatztrainer und als eine der Initiatoren der Interessengemeinschaft Schießkeller Kennelbach der Exekutivbeamten erfahren dürfen. Sie hoffen, dass diese Punkte weiterhin in die Ausbildung von Waffenträgern jeglichen Hintergrundes einfließen werden, zur Sicherheit eines jeden, der die Interessen unseres Gemeinwesens mit der Schusswaffe und unter Einsatz seines Lebens und seiner Gesundheit vertritt.          

Helmut und Karl-Heinz Rösler